Wie soll die ärztliche Versorgung im Landkreis Kronach künftig sichergestellt werden? Bei einer Podiumsdiskussion der Kronacher Grünen diskutieren Ärzte und Vertreter der Pflege mit dem Publikum über zukunftsweisende Wege aus dem Dilemma.
Kronach. Die allgemeinärztliche Versorgung im Landkreis Kronach ist eher „mau“. Laut einer Erhebung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB), Stand Januar 2023, ist Kronach hier bereits deutlich ausgedünnt. Der hausärztliche Versorgungsgrad liegt im Bereich Kronach-Nord bei 88,30 und, in Kronach-Süd bei 83,93 Prozent. Fast 60 Prozent der hier niedergelassenen Hausärzte sind über 60 Jahre alt. Es gibt laut Statistik zwölf freie Hausarztsitze.
Der Kreisverband Kronach von Bündnis 90 / Die Grünen und deren Vorsitzende Edith Memmel haben das Thema zum Anlass für eine Podiumsdiskussion genommen. Gemeinsam mit der Weißenbrunner Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. Anne Hoffmann, dem Allgemeinarzt Dr. Matthias Rudolph aus Mitwitz, dem Hausarzt Dr. Ulrich Voit aus der „Familienpraxis“ in Wallenfels, dem Bamberger Nephrologen Dr. Oliver Dorsch, Joshua Pyka, Einrichtungsleiter eines Kronacher Seniorenhauses sowie MdB und Kinderarzt in Weiterbildung Johannes Wagner diskutierte das Publikum in der Tenne der Brauerei Kaiserhof über die aktuelle Situation und mögliche Wege aus dem Versorgungsdilemma.
Johannes Wagner, der die Veranstaltung moderierte, gab zunächst einen Überblick über die Lage des Gesundheitswesens. Deutschland sei Spitzenreiter in Europa was die Ausgaben für Gesundheit anginge, aber habe trotzdem nur eine unterdurchschnittliche Lebenserwartung. Ein Grund dafür: Nur 1,2 Prozent der gesamten GKV-Leistungen, also 3,3 Mrd. Euro, fließen in Prävention. „Die Vermeidung von Erkrankungen spielt in Deutschland so gut wie keine Rolle“, stellte der Arzt und Politiker fest. Zum Ärztemangel sagte er: „Medizin ist mit sechs Millionen Beschäftigten einer der größten Arbeitssektoren. Allerdings ist ein Drittel der Ärztinnen und Ärzte 55 Jahre und älter. Das wird ein Problem, wenn viele gleichzeitig in den Ruhestand gehen ohne Nachfolger zu haben. Bis 2049 werden zudem mindestens 280.000 zusätzliche Pflegekräfte benötigt.“ Das System in den Kliniken sei ineffizient, kritisierte Wagner. „Bei uns wird viel zu viel stationär gemacht, was ambulant auch ginge.“ Die Spezialisierung in der Medizin nehme zu. So habe es im Jahr 1924 in Deutschland 14 Fachgebiete gegeben, 1970 waren es 20 und in der gegenwärtigen Weiterbildungsordnung seien sogar 51 Facharztgebiete verzeichnet. Diese Spezialisierung führe dazu, dass eine ganzheitliche Betrachtung des Patienten oft nicht mehr möglich sei und dass Kliniken gar nicht mehr alle medizinischen Bereiche abbilden könnten. Wagner sprach sich deshalb für eine gute Basis- sowie Notfallversorgung in den Kliniken vor Ort und eine Spezialisierung in den Zentren aus. Der Grünen-Politiker wies in seinem Impulsreferat zudem darauf hin, dass der Ressourceneinsatz im Klinikalltag auf den Prüfstand müsse. Sechs Prozent der nationalen Emissionen fielen auf diesen Bereich, so Wagner. Er unterstrich zudem die drastischen Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit der Menschen.
In seiner Analyse des Ärztemangels führte der Politiker aus: „Die Gründe für den Ärztemangel auf dem Land sind vielfältig. Immer weniger Studierende entscheiden sich für eine Ausbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin; immer weniger Mediziner sind bereit, sich in ländlichen Gebieten niederzulassen; Ärzte im hausärztlichen Bereich haben Schwierigkeiten, einen Nachfolger zu finden. Dazu gesellen sich dann noch Themen wie Budgetierung, ein überkommenes System der quartalsweisen Abrechnung von Krankenscheinen, falsche Anreizsysteme, eine zunehmende Bürokratisierung und die schwache Infrastruktur auf dem Land.“ Bei der engagierten Diskussion in Kronach wurde schnell klar, dass Heilungschancen für den latenten Ärztemangel weder kurzfristig noch rein lokal bestehen; vielmehr brauche es hier – da waren sich alle Diskutanten einig – wirksame Konzepte für ein an vielen Stellen kränkelndes Gesundheitssystem.
Matthias Rudolph, der seit Jahren Praktika für Medizinstudierende in seiner hausärztlichen Praxis anbietet, warf ein, dass das landläufige Klischee des Hausarztes viele junge Leute abhalte, diesen Beruf zu ergreifen. „Nur zehn Prozent der Studierenden gehen in die Allgemeinmedizin. Sie fürchten vor allem überbordende Arbeitszeiten bei vergleichsweise schlechter Bezahlung. Dabei bieten gerade hausärztliche Gemeinschaftspraxen durch angepasste Arbeitszeitmodelle ideale Voraussetzungen, insbesondere für Ärztinnen und Ärzte, die als Mütter oder Väter – neben dem Beruf – ihren erzieherischen Aufgaben nachkommen wollen bis hin zu Ärzten in Altersteilzeit.“
Ulrich Voit kritisierte in seinem Statement das nach Quartalen finanzierte Hausarztsystem. Das sei falsch und habe ausgedient. Es begünstige nicht das Gesunderhalten oder Gesundwerden des Patienten, sondern dass Kranke krank gehalten würden, damit sie im nächsten Quartal wieder in die Praxis kämen, so der Mediziner plakativ. „Die Quartale müssen weg. Wir brauchen wieder Raum für eine ‚sprechende Medizin‘ . Manchmal braucht es eben keine Medikamente und auch keine Apparate, sondern das Gespräch von Mensch zu Mensch und auch die Geduld und das Vertrauen, abzuwarten und Verläufe zu beobachten. Natürlich braucht es auch eine entsprechende Qualitätssicherung und Evaluierung der Maßnahmen.“ Die Abschaffung der Honorargrenzen für Hausarztpraxen durch die Ampel bewertete der Mediziner als richtigen Schritt. Krankenkassen sollen dabei für alle Behandlungskosten aufkommen und nicht wie bisher nur im Rahmen von vorgegebenen Budgets. Mit der Entbudgetierung wird so in Zukunft jede hausärztlich erbrachte Leistung vollständig vergütet. Fehlanreizen, die gerade am Ende eines Abrechnungsquartals zu einer schlechteren Versorgung führen könnten, werde damit entgegenwirkt. Weiter betonte Voit, die neue „Chroniker-Pauschale“ sei wegweisend und geradezu eine „Revolution“ im Abrechnungswesen.
Diesen Aspekt unterstrich auch Anne Hoffmann, die nochmals die Bedeutung des vertrauensvollen Arzt-Patienten-Gesprächs herausarbeitete. „Die heilende Wirkung des Zuhören-Könnens sollte nicht unterschätzt werden.“ Sie forderte zudem, dass es deutlich mehr Psychologen und Psychotherapeuten im Landkreis geben müsse. Sie selbst setze auf eine starke Vernetzung mit Heilpraktikern und sonstigen im weiteren Umfeld von Gesundheit, Prävention und Wellness Tätigen, um Menschen ganzheitlich zu unterstützen.
Oliver Dorsch warnte vor dem wachsenden Einfluss von Kapitalgesellschaften in der Gesundheitsversorgung, die, so seine Meinung, vor allem profitable Behandlungen forcierten. Im Weiteren sprach der Mediziner an, dass eine mögliche Therapiebegrenzung mittlerweile zum Tabuthema geworden sei. „Nicht jede technisch machbare medizinische Therapie macht für den einzelnen Patienten immer Sinn.“ Er forderte zudem, die Zulassungsbeschränkungen für Studierende zu lockern.
Joshua Pyka beschrieb die Lage aus Sicht der Pflege. Er forderte – abseits der finanziellen Vergütung, die gut sei – eine stärkere gesellschaftliche Anerkennung und Aufwertung pflegerischer Leistung. Pyka betonte, dass die Mitarbeitenden in der Pflege über eine exzellente Ausbildung verfügten und deutlich mehr könnten, als sie weithin dürften. Eine Ausweitung und damit Aufwertung des Tätigkeitsfeldes könne auch eine wirksame Entlastung von Ärzten nach sich ziehen. Pyka unterstrich außerdem, dass die Pflege – sei es in Klinken oder Pflegeeinrichtungen – ohne Mitarbeitende mit Migrationshintergrund überhaupt nicht mehr leistbar wäre.
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