Klimaschutz muss sich lohnen

Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
KLIMASCHUTZ MUSS SICH LOHNEN – CO2 BRAUCHT EINEN PREIS
FÜR EINEN ÖKOLOGISCH WIRKSAMEN UND SOZIAL GERECHTEN KLIMAAUSGLEICH
Die Klimakrise spitzt sich zu. Bereits heute leiden Menschen auf der ganzen Welt und auch bei uns unter den Folgen, verursacht durch Dürren, Hitzewellen oder etwa Überschwemmungen. Der jüngste Sonderbericht des Weltklimarats (IPCC) belegt erneut, dass wir jetzt schnell und entschlossen handeln müssen, um die drohende globale Erderhitzung von weit über drei Grad Celsius zu verhindern. Wir Grüne im Bundestag fordern verbindlich mindestens 95 Prozent CO2-Einsparung bis 2050, mit einem ambitionierteren Ziel für 2030, um endlich wieder auf den Pfad des Pariser Klimaschutzabkommens zu kommen, der eine Begrenzung der Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad, möglichst unter 1,5 Grad zum Ziel hat. Als G20-Mitglied, langjähriger Exportweltmeister und wichtige Industrienation steht Deutschland besonders in der Verantwortung, die angekündigte Anstrengung der internationalen Dekarbonisierung mit wirkmächtigen Klimarettungsinstrumenten auszugestalten.
Wenn wir die Klimakatastrophe noch aufhalten wollen, müssen wir unverzüglich und wirksam handeln. Klimaschädliche Technologien wie Kohlekraft oder fossile Verbrennungsmotoren, aber auch die industrielle Massentierhaltung müssen beendet werden. Klimafreundliche Alternativen wie Elektromobilität und Bus und Bahn, erneuerbare Energien und Energiesparen brauchen mehr Förderung.
Dringender denn je für die notwendige Änderung unseres Wirtschaftens ist die Weiterentwicklung der ökologischen Finanzreform. Ein Beitrag zur Klimarettung wird einfacher für jeden von uns, wenn er sich lohnt. Bisher ist es aber so, dass klimazerstörendes Verhalten oft günstiger ist, weil wir unsere Atmosphäre als kostenlose Müllkippe behandeln. Der Flug ist günstiger als die Reise mit der Bahn, ein Unternehmen, das schmutzig ohne Klimaschutzmaßnahmen produziert, hat einen Preisvorteil gegenüber dem, das klimaverantwortlich wirtschaftet. Das schadet dem Klima, ist ökonomisch unsinnig und ungerecht.
Deutschlands derzeitiger Ansatz aus einem Mix von wenig wirksamen Instrumenten und schwachen klimapolitischen Entscheidungen, die sich teilweise widersprechen, wird nicht dazu führen, unsere klimapolitischen Ziele zu erreichen. Kraftwerke und Industrieanlagen unterliegen zwar schon dem europäischen Emissionshandel und müssen für ihre CO2-Emissionen Zertifikate abgeben. Doch bis heute bleibt der Emissionshandel ein weitestgehend zahnloses Instrument. Es gibt zu viele Ausnahmen, die Preise bleiben durch überschüssige CO2-Zertifikate auf dem Markt viel zu niedrig und zu volatil und schaffen keinen verlässlichen Rahmen für klimaschützende Investitionen und Innovationen.
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Hinzu kommt, dass über 50 Prozent der CO2-Emissionen in Deutschland nicht im Emissionshandel erfasst werden – und damit weder eingepreist sind noch einem Reduktionsfaktor und einer Obergrenze unterliegen. Das betrifft vorrangig die Sektoren Wärme und Verkehr, deren Emissionen seit Jahren nicht sinken oder sogar wieder ansteigen. Für Heiz- und Kraftstoffe gelten bisher lediglich heizstoffspezifische Energiesteuersätze. Diese wurden z.T. seit Jahren nicht mehr angepasst und entsprechen in Höhe und Verteilung nicht mehr den Anforderungen des Klimaschutzes. Dazu kommt, dass Strom derzeit durch Steuern und Umlagen (wie die Stromsteuer) im Verhältnis zu fossilen Kraft- und Heizstoffen deutlich stärker „bepreist“ wird, obwohl inzwischen fast 40 Prozent des Stroms aus erneuerbaren, klimafreundlichen Quellen kommt.
Damit Wirtschaft und Gesellschaft rechtzeitig auf einen klimaverantwortlichen Entwicklungspfad umschwenken, brauchen wir in unserer Sozialen Marktwirtschaft heute die richtigen Preissignale. Die Preise müssen die ökologischen Kosten von Produktion und Prozessen widerspiegeln. Ein CO2-Preis ist für uns deshalb ein wichtiger Teil eines breiten Instrumentenmix, um unser Klima, unsere Umwelt und die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft zu retten. Ein solcher CO2-Preis wird aber nur funktionieren, wenn er zugleich klimapolitisch wirksam und sozial gerecht ist. Und er muss zügig umsetzbar sein, denn die Zeit zur Klimarettung läuft uns davon.
DIE GRUNDIDEE: MIT EINEM KLIMAAUSGLEICH CO2 EINEN PREIS GEBEN
Wir wollen CO2 einen Preis geben. Auf fossile Kraft- und Brennstoffe wird ein Preis-Aufschlag erhoben, der über die Zeit anwächst. Dieser Aufschlag soll die Kosten der Klimaschäden abbilden. Es ist quasi eine Müllgebühr für den klimazerstörenden CO2-Abfall. Die Einnahmen sollen als Energiegeld an alle Bürgerinnen und Bürger wieder zurückgehen.
Dadurch entsteht ein Klimaausgleich, der klimaschützendes Verhalten fördert: Wer mit dem Fahrrad oder einem Kleinwagen fährt und energiebewusst heizt, zahlt weniger ein als er rausbekommt und hat am Jahresende Plus gemacht. Wer einen SUV fährt und eine Penthouse Wohnung beheizt, der zahlt mehr ein, als er rausbekommt. Wer das Klima schont, wird belohnt, wer das Klima schädigt, muss dafür aufkommen.
Gleiches gilt für Unternehmen: Unternehmen, die technologisch am stärksten am Klima-Killer CO2 hängen, haben derzeit zu wenig Anreize und Möglichkeiten auf klimafreundliche Technologien umzustellen. Sie zahlen bisher zu wenig für ihren CO2-Müll. Verantwortlich zu handeln, wird heute nicht ausreichend honoriert und unterstützt. Deshalb wollen wir im Emissionshandel einen Mindestpreis einführen. Der CO2-Preis schafft Gerechtigkeit und steigert mittelfristig auch die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt — denn Klimaschutz ist ein globaler Zukunftstrend. Ökologisch ehrliche Preise schaffen Anreize für Innovationen und Investitionen in klimaverantwortliche Produkte und Produktionsweisen und für „Efficiency First“ beim Umgang mit Ressourcen.
Bei der Ausgestaltung des Klimaausgleichs sind für uns folgende Grundprinzipien entscheidend:
• Wir wollen einen ökologisch wirksamen CO2-Preis. Dazu muss der CO2-Preis möglichst viele Sektoren erfassen. Von entscheidender Bedeutung für die Lenkungswirkung ist zudem, dass es einen planbaren und verlässlichen Preispfad
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gibt. Die CO2-Preise sollen sich mittelfristig an den realen CO2-Schadenskosten orientieren. Außerdem kommt es darauf an, den CO2-Preis zügig einzuführen. Wir können bei der Rettung des Klimas nicht erneut Jahre verschenken. • Der CO2-Preis muss sozial gerecht ausgestaltet sein. Der CO2-Preis muss aufkommensneutral ausgestalten werden, der Staat soll darüber keine neuen Einnahmen generieren. Die Einnahmen fließen an die Bürgerinnen und Bürger und die Wirtschaft zurück, diejenigen mit wenig Geld in der Tasche profitieren grundsätzlich. Klimafreundliche Alternativen müssen massiv ausgebaut werden, damit alle die Möglichkeit haben, umzusteigen. Entscheidend ist, dass man mit einem maßvollen CO2-Preis beginnt, der dann stetig anwächst. So kann jeder in den nächsten Jahren sein Verhalten anpassen.
• Der CO2-Preis muss ökonomisch wirksam sein, dies gilt umso mehr bei einer nationalen Einführung. Es braucht Regelungen, die verhindern, dass energieintensive Industrien einfach ins Ausland verlagert werden. Die Wirtschaft insgesamt muss beim Umstieg auf klimafreundliches Wirtschaften unterstützt werden.
Entlang dieser Grundprinzipien schlagen wir ein Modell für einen Klimaausgleich vor. Wir wollen damit die Diskussion um dieses wichtige Instrument vorantreiben. Für uns ist aber das Instrument CO2-Preis entscheidend, über die konkrete Ausgestaltung wollen wir gerne diskutieren.
ECKPUNKTE FÜR EINEN WIRKSAMEN UND SOZIAL GERECHTEN KLIMAAUSGLEICH
1. Ökologisch wirksam
Wir wollen einen wirksamen und sozial gerechten CO2-Preis für alle Sektoren einführen und damit die Lenkungswirkung hin zu klimaverträglichen Investitionen deutlich verstärken.
Wir wollen daher in Deutschland innerhalb des Emissionshandels einen CO2-Mindestpreis in Höhe von anfangs 40 Euro pro Tonne CO2 festlegen. Das wollen wir in Zusammenarbeit mit unseren europäischen Nachbarstaaten erreichen und dazu auf die Angebote Frankreichs und der Niederlande eingehen.
Außerhalb des Emissionshandels wollen wir im Verkehrs- und Wärmesektor die Energiesteuern ökologisch reformieren und auf fossile Treib- und Brennstoffe, also auf Benzin, Diesel, Kerosin, Heizöl, Heizkohle und Heizgas, einen Aufschlag entsprechend der jeweiligen CO2-Emission erheben. Der Agrarsektor muss seinen spezifischen Beitrag zur Klimarettung über andere Instrumente einbringen. Eine Einbeziehung von Verkehr und Wärmemarkt in den Europäischen Emissionshandel würde zu lange dauern. Außerdem würde dies nach heutiger Rechtslage auch keine Planungssicherheit bringen, weil die Zertifikatspreise volatil sind. Der Mechanismus des Emissionshandels würde am Ende dazu führen, dass sich der Verkehrssektor auf Kosten von Industrie und Stromerzeugern zumindest für einige Jahre von seinen „Klimapflichten“ freikaufen könnte. Er würde weder CO2
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selber mindern noch Anreize zur Innovation erhalten. Die Umstellung auf Elektromobilität würde vertagt.
Nach derzeitigem Stand durch Berechnungen von Expertinnen und Experten wäre ein Einstiegspreis von 40 Euro angemessen. Damit würde bereits bei der Einführung eine moderate Lenkungswirkung erzielt.
Der CO2-Preis muss dann planbar ansteigen, denn seine zentrale Wirkung entfaltet der CO2-Preis durch die langfristige Lenkungswirkung. Um ein ständiges politisches Gezerre um den Anpassungspfad und die daraus entstehende ökonomische Unsicherheit für Unternehmen sowie Verbraucherinnen und Verbraucher zu verhindern, schlagen wir vor, dass die Preiseentwicklung langfristig von unabhängiger wissenschaftlicher Stelle unter Berücksichtigung der klimapolitischen, sozialen und ökonomischen Wirkungen vorgeschlagen wird. Bei einer Verfehlung der Klimaziele muss der CO2-Preis angepasst werden.
Mit dem CO2-Preis wollen wir zudem die Rahmenbedingungen für den Umstieg auf klimafreundliche Alternativen im Verkehr und bei der Wärmeversorgung verbessern, die alle mehr oder weniger strombasiert sind (Elektromobile, Power to Gas Kraftstoffe, etc.). Deshalb wollen wir mit einem Teil der Einnahmen die Stromsteuer von derzeit 2.05 ct/kWh auf den EU-Mindestsatz von 0,1 ct/kWh senken. Damit wird der Strom insbesondere für private Haushalte sowie kleine und mittelständische Unternehmen günstiger. Benötigt wird dafür eine Summe von 6,5 Mrd. Euro. Damit setzen wir einen wichtigen Anreiz, um die Wende hin zu erneuerbaren Energien nicht nur beim Strom, sondern auch bei Mobilität und Wärmeerzeugung zu erreichen. Selbst wenn wir endlich Energieeinsparung und Energieeffizienz bei der Wärmeversorgung optimieren – wird der Stromanteil beim Heizen (Wärmepumpen und Power-to-X) ansteigen – neben dem vermehrten Einsatz von Solarthermie, Geothermie und Bioenergie. Es geht darum Strom aus Erneuerbaren im Verhältnis zu Kohle, Erdgas und Öl besser zu stellen. Die Abschaffung der Stromsteuer baut außerdem die Ungleichbelastung von Industrie und privaten Haushalten sowie Wettbewerbsnachteile von klein- und mittelständischen Unternehmen bei der Strombesteuerung ab und trägt zu einem weiteren Abbau umweltschädlicher Subventionen bei.
2. Sozial gerecht
Für uns ist es von zentraler Bedeutung, einen CO2-Preis sozial gerecht auszugestalten. Der Staat soll darüber keine neuen Einnahmen generieren, sondern die Gelder für die Entlastung der Bürgerinnen und Bürger und für wirksamen Klimaschutz in der Wirtschaft verwenden. Damit nehmen wir uns ein Beispiel an anderen Ländern, die klimapolitisch erfolgreich, ökonomisch vernünftig und sozial gerecht CO2-Abgaben eingeführt haben wie Schweden oder die Schweiz.
Konkret schlagen wir vor, dass neben der Senkung der Stromsteuer die zusätzlichen Einnahmen (ca. 8,2 Mrd. Euro) als Energiegeld Pro-Kopf direkt an die privaten Haushalte zurückerstattet werden. Dies ergibt eine Pro-Kopf Energiegeld von ca. 100 Euro, von dem auch diejenigen profitieren sollen, die Transferleistungen wie das Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe beziehen. Zudem profitieren alle Haushalte durch niedrigere Stromkosten. Eine vierköpfige Familie mit durchschnittlicher Stromrechnung würde insgesamt ca. 460€ pro Jahr erhalten. Durch diese Rückverteilung werden vor allem Geringentlohnte und Familien insgesamt entlastet.
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Höhere Preise können soziale Härten schaffen, für sie braucht es Antworten. Für Pendler*innen wird sich der Umstieg auf das E-Auto oder auf verbesserte Bus- und Bahnangebote lohnen. Für Haushalte, die mit Öl oder Gas heizen, der Umstieg auf erneuerbare Energien. Aber nicht für jeden ist eine neue Investition finanziell leicht zu verkraften, nicht jeder kann heute einfach und schnell auf die klimafreundlichere Alternative umsteigen. Deshalb wollen wir zielgenaue Förderprogramme auflegen, die gerade Menschen mit niedrigen Einkommen helfen, auf klimaverantwortliche Alternativen umzusteigen. Klimaverantwortliches Handeln darf nicht vom Geldbeutel abhängen. Unsere grünen Konzepte wie der Mobilpass, günstige Familientarife, das Faire Wärme Paket oder das Bonus-Malus System bei der KfZ-Steuer setzen genau dort an. Außerdem werden wir den ÖPNV, also Bus- und Bahnangebote, deutlich ausbauen, insbesondere im ländlichen und strukturschwachen Raum. Zur Entlastung von Mieterinnen und Mietern sowie selbstnutzenden Eigentümerinnen und Eigentümern und zur Unterstützung von Quartiersansätzen werden wir parallel ein Förderprogramm „Faire Wärme“ zur energetischen Sanierung auflegen. Zudem wollen wir, dass der CO2-Preisbestandteil auf Wärmebrennstoffe als Investitionsanreiz für die Vermieter*innen wirkt, den energetischen Zustand ihrer Gebäude zu verbessern. Sie sollen deshalb CO2 Preiskomponenten nicht Eins-zu-Eins auf Mieter*innen umlegen dürfen, diese müssen auch von den Vermieter*innen mitgetragen werden.
3. Ökonomisch sinnvoll
Der globale Wettbewerb um die Technologien von morgen ist in vollem Gange. Wir wollen, dass Deutschland vorne dabei ist. Die Weichen müssen deshalb auf ökologische Modernisierung und nachhaltiges Wirtschaften gestellt werden. Ein CO2-Preis ist dabei ein wichtiger ökologischer Innovationstreiber und sichert Wohlstand und Arbeitsplätze von morgen.
In allen Branchen soll sich ein Wettbewerb um neue und bessere Lösungen und Technologien zur Bekämpfung der Klimakrise entwickeln. Das sichert Wohlstand und zukunftsfähige Arbeitsplätze, spart teure Energieimporte ein und hilft, Konflikte um Rohstoffe zu verhindern. Ein CO2-Preis setzt genau diese Anreize. Made in Germany soll zukünftig nicht nur für Qualität und Innovation, sondern auch für nachhaltige Produkte und Prozesse stehen.
Wir wollen Unternehmen bei den notwendigen Anpassungsprozessen unterstützen. Durch die Absenkung der Stromsteuer werden vor allem Unternehmen in den Bereichen Gewerbe, Handel, Dienstleistungen, aber auch im produzierenden Gewerbe, insbesondere klein- und mittelständische Unternehmen entlastet. Umfassende Förderprogramme für eine klimafreundliche Wirtschaftsweise (Dekarbonisierung der Industrie, Programme für Flottenumstellung auf E-Mobilität etc.), wie sie teilweise im Energie- und Klimafonds bereits eingestellt sind, müssen zusätzlich zur Entlastung durch den niedrigeren Strompreis, effizienter und wirtschaftlich sinnvoller umgesetzt bzw. neu aufgelegt werden.
Solange es keinen global harmonisierten CO2-Preis gibt, muss durch eine kluge nationale Umsetzung die Wettbewerbsfähigkeit energieintensiver Branchen gesichert werden. Bereits heute sieht der europäische Emissionshandel die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten für Teile der Industrie vor. Zudem werden über die sogenannte Strompreiskompensation höhere Strompreise infolge des Emissionshandels ausgeglichen. Sie sollen eine mögliche Produktionsverlagerung außerhalb der EU – in Länder ohne vergleichbare Maßnahmen – verhindern. Wir wollen diese Regeln weiterentwickeln und
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zielgenauer ausrichten, damit einerseits die Industrie vor möglichen Nachteilen im internationalen Wettbewerb mit Staaten ohne eine vergleichbare Klimaschutzpolitik geschützt bleibt, aber gleichzeitig ein stärkerer Anreize gegeben wird, dass die Industrie in CO2-freie Technologien investiert und CO2-sparsame Werkstoffe einsetzt. Dies könnte z.B. über Klimazölle oder andere Grenzausgleichsmaßnahmen geschehen, die auch auf Importe aufgeschlagen werden, wie einen Grundstoffausgleich, der Recycling und weniger energieintensive Werkstoffe belohnt. Auch die Finanzierung der zusätzlich notwendigen Investitionskosten für saubere Technologien könnte in Zukunft ein Weg sein.
Die energieintensive Industrie kann weitere entscheidende Fortschritte in Richtung CO2-Neutralität durch eine grundlegende Modernisierung zu CO2-freien Herstellungsverfahren erreichen. Diese Umstellung ist enorm kapitalintensiv und verlangt erhebliche Mengen an erneuerbarer Energie. Wir wollen eine zusätzliche Förderung klimafreundlicher Industrieprozesse seitens des Bundes, um den Transformationsprozess zu beschleunigen: Für Investitionen in transformative, CO2-freie Industrieprozesse wollen wir zudem bessere Abschreibungsmöglichkeiten schaffen und auch die Eigenproduktion und direkte Nutzung von erneuerbarem Strom zur Energieversorgung CO2-freier Industrieprozesse begünstigen. Zeitgleich gilt es Leitmärkte für CO2-arme Produkte zu schaffen, beispielsweise durch eine konsequent klimaverantwortliche Ausrichtung der öffentlichen Beschaffung. Auch der gewerbliche (Straßen-)Verkehr muss durch Förderprogramme bei der Umstellung vom Verbrennungsmotor auf andere CO2-neutrale Technologien unterstützt werden.
4. CO2-Preis – national, europäisch, global
Klimapolitisch und ökonomisch wäre ein globaler CO2-Preis die beste Lösung. Wir begrüßen deshalb alle Initiativen, die darauf abzielen. Allerdings ist derzeit mit Blick auf China und die USA kaum absehbar, ob und wann eine Verständigung auf einen globalen CO2-Preis jemals erfolgt. So lange kann die Rettung unseres Klimas nicht warten. Auf europäischer Ebene ist der Emissionshandel erst kürzlich – leider viel zu zaghaft – reformiert worden, eine grundlegende neue Reform steht derzeit nicht auf der Tagesordnung. Solange es keine gesamteuropäische Lösung gibt, sollte Deutschland dem Vorbild anderer europäischer Länder folgen, nach Möglichkeit gemeinsam mit anderen europäischen Ländern. Angebote dazu liegen zum Beispiel aus Frankreich und den Niederlanden vor, die Deutschland unbedingt annehmen sollte. Solche Lösungen sind so auszugestalten, dass andere Länder sich später anschließen können. Wer hingegen ausschließlich auf globalen oder gesamteuropäischen Lösungen besteht, will die notwendigen Klimarettungsmaßnahmen nur weiter verzögern.
CO2-PREIS ALS TEIL EINER AMBITIONIERTEN KLIMASCHUTZSTRATEGIE
In einer Marktwirtschaft spielt der Preismechanismus eine zentrale Koordinierungsfunktion. Deshalb kommt dem CO2-Preis eine wichtige Bedeutung auf dem Weg zu einer klimaneutralen Gesellschaft zu.
Dennoch kann der CO2-Preis ein Teil eines breiten klimapolitischen Instrumentenmix sein. Allein über einen CO2-Preis ist das Klima nicht zu retten. Die Lenkungswirkung des CO2-Preises kann dann leichter eine Wirkung entfalten, wenn ökologische, bessere Alternativen vorhanden sind wie z.B. CO2-freie oder -arme Produktionsverfahren,
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emissionsfreie Autos, erneuerbare Energien. Diese Alternativen müssen ordnungspolitisch angereizt und staatlich gefördert werden.
In einem Maßnahmenplan zur Erreichung der Klimaziele kann der CO2-Preis deshalb nur ein Teil sein. Wichtig sind starke ordnungspolitische Maßnahmen, wie ein Kohleausstiegs-Gesetz, ein verbindliches Datum zum Ausstieg aus dem fossilen Verbrennungsmotor, klimagerechte Mindestenergiestandards für Neubauten und klare Vorgaben zur energetischen Gebäudesanierung. Sie müssen ergänzt werden mit Infrastruktur- und Förderprogrammen für den raschen Ausbau erneuerbarer Energien, für klimafreundliche Alternativen in der Mobilität und die energetische Sanierung. Im Zuge eines wirksamen CO2-Preises ist es zudem sinnvoll, die bereits lang erforderliche Kerosinbesteuerung auf Inlandsflügen sowie die Absenkung der Mehrwertsteuer auf Bahntickets umzusetzen.
5. Grüne Eckpunkte
Wir sind heute weit entfernt von fairen und ökologisch wahren Energiepreisen. Es ist daher an der Zeit für wirkungsvollere und neue Steuerungsinstrumente, mit denen klimaverantwortliche Technologien und Investitionen begünstigt werden und fossile Energieträger für ihre schlechte Klimabilanz zahlen müssen. Strom, Wärme und Verkehr müssen dabei zusammen betrachtet werden. Der Preis muss sozial gerecht gestaltet sein.
1. Wir wollen einen wirksamen Preis pro Tonne CO2 für die Sektoren Wärme und Verkehr einführen und damit die Lenkungswirkung hin zu klimaverantwortlichen Technologien und Investitionen deutlich verstärken. Der CO2-Preis soll dynamisch angelegt werden, und sich planbar an den realen Kosten des CO2-Ausstoßes des Energieträgers orientieren. Klimaschützende Energieträger profitieren, klimazerstörende zahlen mehr.
2. Für Kraftwerke, die bereits heute dem EU-Emissionshandel unterliegen, soll ein CO2-Mindestpreis festgelegt werden und so können auch die energieintensiven Industrien stärker angereizt werden, die durch sie verursachten Emissionen einzusparen. Außerhalb des Emissionshandels, im Verkehrs- und Wärmesektor, werden wir die Energiesteuern reformieren und für fossile Treib- und Brennstoffe entsprechend der jeweiligen CO2-Emission einen CO2-Preis einführen. Um die Energiewende in allen Sektoren voranzubringen, senken wir im Zuge der Reform die Stromsteuer ab.
3. Den CO2-Preis werden wir sozial gerecht gestalten, der Staat soll darüber keine zusätzlichen Einnahmen generieren. Neben der Entlastung durch die wegfallende Stromsteuer sollen die privaten Haushalte ein Energiegeld in Höhe von 100 Euro pro Kopf erhalten.
4. Nur mit einem breiten Instrumentenmix ist die Klimakatastrophe noch abzuwenden. Dabei ist der CO2-Preis neben starkem Ordnungsrecht ein Baustein. Seine Wirkung entfaltet er umso besser, je mehr ökologische Alternativen vorhanden sind wie z.B. CO2-freie oder -arme Produktionsverfahren, emissionsfreie Autos, Wohnungen in Niedrigstenergiehäusern oder erneuerbare Energien. Diese und weitere klimaschützende Alternativen wollen wir ordnungspolitisch anreizen und staatlich fördern.
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5. Wir wollen den CO2-Preis so gestalten, dass er unsere Wirtschaft modernisiert und fit für die Zukunft macht. Deshalb sorgen wir durch die Absenkung der Stromsteuer für günstigere Strompreise. Bei all diesen Maßnahmen behalten wir auch die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Industrie im Blick, wer klimaverantwortlich wirtschaftet, soll keine Wettbewerbsnachteile haben, sondern -vorteile.
6. Wir suchen beim CO2-Preis die europäische und globale Kooperation. Aber wir wollen uns nicht hinter ihr verstecken. Deutschland sollte den anderen europäischen Staaten folgen, die bereits eine CO2-Bepreisung eingeführt haben, im Idealfall gemeinsam mit weiteren europäischen Nachbarstaaten, die willens sind, voranzugehen. Eine Ausweitung auf eine gesamteuropäische oder globale Lösung sollte dann folgen.

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